Donnerstag, 4. November 2021

Journokalypse

Da bleibt noch viel Überzeugungsarbeit nötig.
Karikatur: Karlheinz Stannies

„Pah! Luftpumpen-Journalismus“, schnaubte Gerda verächtlich. „Egal ob Corona oder Bundestagswahl: ständig wurden Kleinigkeiten aufgeblasen“, hatte Katrin gemeckert. Bratwurst, Lastenrad, Gendersternchen, Geschwurbel von Hinterbänklern oder Hobby-Virologen – alles schien wichtiger als Fakten und Inhalte. „Hauptsache: beste Klickware“, nickte Sarah. Da reichten schon Halbsätze für Eilmeldungen und Schlagzeilen. Sprich: Anna- hatte bereits den Shitstorm am Hals, bevor -lena kam. „Mag sein, aber es muss pausenlos was geliefert werden – und die Klickzahlen waren doch wirklich toll“, bemühte sich Tom um Verständnis.

„Hör mir auf mit Klicks“, winkte Gregor ab. „Die allein sagen doch gar nichts aus über den Wert unserer Arbeit.“ Gesellschaftliche Relevanz, Debatte um ein wichtiges Thema bereichert, bedeutsame Stimme hörbar gemacht? „So etwas können Klicks nicht beantworten“, sagte Gregor. „Das können nur Redaktionen.“ Die Daten waren sicher eine gute Grundlage für interne Diskussionen – da waren wir uns einig. Aber Klicks dürfen nie und nimmer über Inhalte bestimmen.

„Tun sie aber längst“, maulte Gabi. „Es gibt Redaktionen, die – auf Geheiß der Bosse – ihre Berichterstattung nur noch nach dem vermeintlich gemessenen Leser-Interesse ausrichten“, maulte Gabi. „Schuld sind auch diese Analyse-Tools, die melden, wie viele Abos ein Bericht eingebracht hat“, schimpfte Barbara. „Bei uns werden inzwischen für jede Redaktion feste Abo-Zielvorgaben gemacht.“ Die Folge sei, dass alle mehr und mehr auf gängige Themen setzen. „Dabei ist die Themenauswahl ein Grundpfeiler unserer Profession“, grummelte Christian. „Wenn Zähl- und Analyse-Tools übernehmen, droht uns eine echte Journokalypse.“

Wir wurden ganz nachdenklich. Wie wird es weitergehen mit dem Journalismus? Hubert kramte eine Wahrsage-Kugel heraus: „Ich sehe eine wunderbare Tarifrunde zum Jahresende voraus“, orakelte er. „Schließlich sind wir nicht nur systemrelevant, wir sind jetzt auch Friedensnobelpreis. Das überzeugt die Arbeitgeber. Sie lieben uns jetzt.“ Hubert hatte wohl wieder die rosarote Kugel erwischt.

„Übrigens“, warf Marie ein, „ward ihr auch schon im DJV-NRW-Kino?“ Kinoabende mit Filmen, die sich mit Journalismus befassen. Eine großartige Idee für persönliche Treffs nach langer Corona-Abstinenz. „Die Streifen über die SZ und Monitor waren klasse“, sagte Petra. „Aber der übernächste ist mir zu gruselig. Da weiß ich nicht, ob das wirklich wie angekündigt nur Fiktion ist.“ Wie heißt denn der? „Job-Massaker der Killer-Klicks.“

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P.S.: Egal wie die Lese-Quote heute hier ausfällt, ich werde daraus einen klaren Schreibe-Auftrag für den nächsten Text ziehen.


Dienstag, 7. September 2021

Höhepunkte, Tiefpunkte

Bei Auflagenschwund: Nichts geht über guten Journalismus
Karikatur: Karlheinz Stannies
Aufreger gibt’s ja in unserer chronisch empörten Branche immer wieder. Und damit genug Gesprächsstoff für Lob und Lästern beim Stammtisch. „Da war doch die Kollegin von RTL, die sich mit Matsch beschmierte, damit die Flut-Reportage echter wirkt“, zählte Marvin auf. „Ein Ausrutscher“, sagte Daniela. Wir staunten über ihr mildes Urteil. „Ich meine, sie hätte doch, kurz vor live, nur schnell einen Umfaller vortäuschen müssen – und dann ganz professionell die dreckigste Schalte der Welt machen können.“ Julian giftete: „Egal wie, mit Schlamm hat RTL die Latte jedenfalls ganz schön hoch gehängt, zum Beispiel für das neue Bild-TV.“
Bevor wir lustvoll spekulieren konnten, womit Springer womöglich schmiert, machte Doreen ihrem Herzen Luft: „Die Funke-Mediengruppe hat’s schon wieder getan! Sie hat die nächste Zombie-Zeitung im Portfolio, von der Konkurrenz gefüllt, diesmal in Thüringen. Lokales geht anders.“ Wie auf Kommando startete der Stammtisch sein Zombie-Ritual: Alle streckten wackelnd die Arme vor, legten die Köpfe schief, verzerrten die Gesichter und röchelten „Fuuunke, Fuuuunke“.
„Der WDR will doch das Programm verjüngen“, wechselte Steffi das Thema. „Glaubt ihr, der Buhrow kann das? Mit seinen bald 63 Jahren.“ Müssten für so eine Aufgabe nicht deutlich jüngere Entscheider ran? Wir fragten uns, was dann wohl aus dem Intendanten würde. „Na ja, Moderator im Fernsehen jedenfalls nicht mehr“, kicherte Maike. „Höchstens Radiosprecher.“
Wir hatten aber auch eine gute Nachricht für Gesichtsälteste: Schrumpeln macht besser. Behauptet jedenfalls Springers Welt. Eine ganze Ausgabe pro Woche weniger, die Umfänge vom Rest um ein Drittel gekürzt – das ist gut, weil keiner mehr über die Woche so viel Welt lesen will, hatte Geschäftsführer Ulf sinngemäß begründet. Chefredakteur Ulf stimmte ihm angeblich zu. Wir fragten uns: „Beginnende Selbsterkenntnis?“ Und schüttelten gleich die Köpfe. Nicht bei dem.
„Mich hat ja dieser ehrliche Moment von Jeff Bezos, dem reichsten Arbeitgeber der Welt, beeindruckt“, meinte Claudia. „Als der aus dem All zurückkam…“ Petra grätschte verächtlich rein: „Pah! Der war nicht mal der erste Milliardär da oben!“ Claudia bedachte die Unterbrecherin mit einem Blick, der zum unkontrollierten Wiedereintritt geführt hätte: „Also, als der kleine Leuteschinder von Amazon zurück geliefert wurde, da bedankte er sich überschwänglich bei Kunden und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern: Danke, das habt ihr bezahlt.“
Wo er recht hat. Was wird wohl der nächste zu finanzierende Spleen der Reichen? „Nachdem es im All ja inzwischen wimmelt, wollen die Verleger lieber Tiefseetauchen“, hatte Stephan irgendwo gehört. Aber sie müssen sich beeilen. Sonst baut der Musk vorher Elektro-U-Boote. Und wieso Tiefsee? Stephan zwinkerte: „Na, viele Verleger sind doch immer wieder für einen Tiefpunkt gut, oder?“


Donnerstag, 24. Juni 2021

Von Wow zu Wau

Karikatur: Karlheinz Stannies
Katja klang ein wenig bedrückt. „Wir haben jetzt draußen Bewegungsmelder installiert“, informierte sie den Stammtisch, „so fühlen wir uns sicherer. Vor allem wegen der Kinder.“ Schmierereien, Haus-“Besuche“, Beschimpfungen, Mord-Mails und Braunes im Briefkasten – Journalistinnen und Journalisten gehörten zu den bevorzugten Opfern der Hass-Idioten. Schlimme Sache. Wirtschaftsbosse oder Politiker hätten längst Polizeischutz, vermuteten wir. Karo sagte: „Inzwischen werden Sender-Logos von Fahrzeugen gekratzt, damit die niemand erkennt. Und wenn Teams zu Demos fahren, dann nur noch mit Security.“ Das sei Auflage der Versicherung. Wir lächelten: Irgendjemand sorgt sich also doch um uns! Nee, meinte Manni: „Die fürchten um Autos und Ausrüstung.“

„Vielleicht kann uns die Polizei ja ein paar stichfeste Westen leihen“, giggelte Blaulichtreporter Wolfgang. „Oder die Bundeswehr einen Begleit-Jet für Flug-Dienstreisen.“ So richtig witzig fanden wir das nicht, nachdem dieser durchgeknallte Belarus-Diktator einen oppositionellen Journalisten krallte, indem er eine überfliegende Linienmaschine kapern ließ.

Von Politik und Behörden gab es immer noch zu wenig Unterstützung. Darin waren wir uns einig. „Politiker machen oft nur halbe Sachen“, knurrte Verena. „Sie fummeln am Urheberrecht herum – fein. Aber wo bleibt das Verbandsklagerecht?“ Oder: Sie wollen Betriebsräte stärken. „Prima“, rief der Stammtisch im Chor: „Aber wo bleibt das Aus für den Tendenzschutz?“

Auch das Hickhack um die Presseförderung war irritierend. Erst wurden den Verlegern 80 Millionen für die Zeitungsboten versprochen, dann sogar 200 Millionen für digitalen Wandel – plötzlich Pustekuchen. Einige von den erfolgsverwöhnten Medien-Lobbyisten sollen rituellen Selbstmord angeboten haben. Selbst das Leistungsschutzrecht hat Beigeschmack, weil Google und Facebook einzelne Verlage mit Millionen zu Sonderaktionen locken. „BDZV-Chef Döpfner funkt den anderen mächtig dazwischen“, kicherte Petra.

„Apropos Springer und Funke“, hakte Sven ein: „Die bei Bild & Co haben gerade eine große Mitarbeiterbefragung gemacht, nach dem Skandal um Julian Reichelts gefürchtete Regentschaft.“ Ergebnis? „Miese Noten für viele Chefs. Gesellschaftliche Verantwortung: nur Durchschnitt. Und ein Viertel verschweigt lieber, bei wem sie arbeiten.“ Wow, ein Debakel. Und was ist mit Funke? „Die Essener starten gerade eine Charme-Offensive, wollen ihre Redaktionen attraktiver machen.“ Rechtzeitig zum Ende der HomeOffice-Zeit? „In der Zentrale sind jetzt Hunde erlaubt, fürs Betriebsklima.“ Wau.


Sonntag, 23. Mai 2021

Ab in den Trichter, rein in den DJV!

Karikatur:
Karlheinz
Stannies
Gleich am Anfang muss man sich entscheiden: Ist Journalismus eher mein "Traumjob" oder nur "halt ein Job", weil mir Familie und Freizeit wichtiger sind als Arbeit. Sieben Fragen weiter fällt bei diesem kleinen Test "Welcher Journalist:innen-Typ bist du?" das Urteil, z.B. "Du bist Netzwerker:in". Und dazu gibt's eine Handvoll Tipps, wo und wie man sich einbringen könnte und welche passgenauen Angebote es gibt. Eine oft irre lange Liste.

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) in NRW bewirbt den Typ-Test gerade auf allen Plattformen, als Marketing-Aktion. Ziel ist es, mehr und vor allem jüngere Berufskolleginnen und -kollegen zu erreichen und für die Gewerkschaft zu interessieren. Wollen Sie selbst mal durchklicken? Bitte, hier geht's zum Test. Kleiner Anreiz: Wer mitmacht und dem DJV-NRW bis zum 31. Mai verrät, welcher Typ man/frau ist, kann ein "DJV-NRW-Reporter:innen-Set" gewinnen.

Im Marketing-Sprech nennt sich sowas (natürlich englisch) Funnel, deutsch: Trichter. Die Angelockten werden wie durch Trichter in die für sie vermeintlich richtige Richtung bugsiert - und landen am Ende dort, wo man sie hoffentlich am leichtesten überzeugen kann. Hintergrund: Die Gewerkschaft schrumpft (wie alle), braucht Nachwuchs. Nicht so sehr wegen des Geldes; auch eine kleine Organisation kann überleben. Sondern, weil uns (allen) sonst immer mehr engagierte Leute und neue Ideen entgehen. Außerdem kann ein "großer" DJV viel mehr erreichen. Für Studierende und Berufsstarter

Freitag, 14. Mai 2021

Was Meister Yoga sagt

Freeman ... in einer gerechten Welt hätte jeder Mut.
Karikatur: Karlheinz Stannies
Ping-pong. Jemand betrat den Stammtisch-Raum. „Herein, wenn's kein Virologe ist“, alberte ein öffentlich-rechtlicher Kollege. Aber es war kein Medien-Star. Eine schwarze Maske füllte die Bildschirme, abgrundtiefes Atmen ließ die Lautsprecher vibrieren – keine Frage: Das war Dark Paper, bekannt aus den seit Jahrzehnten tobenden DigitalWars gegen die Druckmaschinen. Wie in der (vor allem auf Twitter gefeierten) Folge „Das Empörium schlägt zurück“ röchelte er den berühmten Satz: „Hrrr, prrr... Ich bin Dein Psychiater.“

Wir applaudierten. Paul ging in seiner Rolle regelrecht auf. Machte ja auch Spaß, diese Rollenschlüpferei. Keine Frage, ein Jahr Lockdown mit Mangel an Kontakten und Erlebnissen, ein Jahr Homeoffice im Belastungs-Mix von Job, Familie, Schule und Kita auf engstem Raum – sie hatten Spuren hinterlassen. In so manchem Heimbüro lagen erste Nerven blank. Wir am Stammtisch peppten deswegen unsere Videotreffs gern mit Spielchen und neuen Ritualen auf. Dark Paper war mitten in die Nominierungen geplatzt.