Samstag, 12. November 2016

Vorwärts in die Vergangenheit

„Irgendjemand muss dafür bezahlen!“ Der Präsident klang knurrig wie John Wayne, kurz bevor Blei flog. Im Hinterzimmer der Nobel-Kneipe hatten sich die Medienmanager gegenseitig beim Champagner ihre schönsten Jammer-Reden vorgeführt: dass man am Hungertuch nagt, vor Sorge um die Jobs kaum noch schläft – Schenkel wurden geklopft, Mitleidstränen flossen.
 
Die Schrecken der Medienmanager (Karikatur: Karlheinz Stannies)
Dabei war die Sache ernst. Die Gewinne sinken, und irgendwer muss zahlen. „Na, wer schon?“, fragte einer. „Die Mitarbeiter“, kannten alle die Antwort. „Ist doch ganz einfach“, hieß es. „Raus aus dem Tarif. Dazu ein wenig Drohung und Schwarzmalerei. Wenn kein Betriebsrat in die Quere kommt, unterschreiben die Leute alles.“
 
„Tarifflucht – gut und schön“, stöhnte Kurt, „aber leider kompliziert." Im Labyrinth von Nachwirkung, Fortgeltung und neuen tariflosen Mini-Firmen konnte man sich schon mal selbst verlaufen. Karl Hans setzte dazu: „Gewerkschaften, Betriebsräte – alle reden uns rein. Uns!“ Man schauderte. „Ach, wie war das schön, damals, als wir noch mit den Leuten machen und ihnen zahlen konnten, was wir wollten“, geriet Helmut ins Schwärmen. „Das war noch verlegerische Freiheit!“
 
„Und genau da müssen wir wieder hin!“, haute Christian auf den Tisch. „Was ich immer sage“, hakte Benedikt ein, „wir Medienhäuser müssen zurück ins 19. Jahrhundert. Wir haben uns doch gleich zu Beginn der digitalen Revolution diesen Flitzer aus Amerika besorgt, diese Zeitmaschine. Warum nehmen wir die nicht und verhindern die Entstehung der Tarifverträge?“
 
Alle wurden ganz hibbelig. Okay, der erste Reise-Versuch war wohl schiefgegangen: Die Verleger, die Facebook und Youtube gründen sollten, kamen nie wieder. Aber der Nachbau der Zeitmaschine war bestimmt besser. „Wir müssten ins Jahr 1873“, wusste Alfred. „Damals gab es den ersten Tarifvertrag im Kaiserreich – für Drucker.“ Michael riet: „Wir stellen den Rendite- ähm Flux-Kompensator aber lieber auf 1850. So bleibt Zeit für Lobbyarbeit.“
 
Die Sache war beschlossen. Der Präsident befahl: „Hendrik, hol schon mal den DeLorean.“ Und dann gaben sie Gas: vorwärts in die Vergangenheit.
 
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P.S.: Was diesmal aus den Managern wurde, ist unklar. Jedenfalls: Tarifverträge gibt es noch. Und der Mangel an echten Verlegern wächst und wächst.